Unsere Intensivstation ist schon voll

sagt Prof. Christian Karagiannidis, leitender Oberarzt und wiss. Leiter des Intensivregisters DIVI in der Sonderfolge des NDR Podcast Coronavirus-Update vom 16. November 2021.

Wir haben, was die Beatmungsbetten betrifft, in Deutschland ungefähr vor einem Jahr noch 12.000 Betten zur Verfügung gehabt. Jetzt haben wir 9.000 Betten zur Verfügung.

Prof. Christian Karagiannidis

 

Wir sind schlimmer dran als vor einem Jahr.

Prof. Christian Drosten, NDR Podcast Coronavirus-Update Folge 102 vom 9.11.2021

Ohne groß in die aktuellen Debatten um Impfpflicht und notwendige infektiologische Maßnahmen einzusteigen – darauf ist zugegebenermaßen Prof. Drostens Zitat gerichtet– könnte die Versorgungskapazität mit Beatmungbetten um 30% höher sein, wenn wir als Gesellschaft die sich aufopfernden Pflegekräfte effektiver unterstützt und eine Kehrtwende eingeleitet hätten.

Spürbare Folge: Teilzeitbeschäftigung und Abwanderung

Wir haben enorm viel Pflegepersonal im Laufe der Pandemie verloren. Die Belastung war vorher schon hoch und die Wurzeln der Pflegekrise liegen auch ganz sicher nicht in Covid, sondern die liegen zehn Jahre zuvor und vielleicht sogar länger.

Prof. Christian Karagiannidis

Ihm zufolge sind etliche in Teilzeitbeschäftigungen gegangen am bisherigen Arbeitsplatz. Und wenn die Arbeitszeit reduziert wird, aufgrund der heftigen Arbeitsbedingungen aber auch „der Markt leergefegt ist“ (wer will schon zu solchen Bedingungen wieder einsteigen?), kann keine Nachbesetzung erfolgen und die Bettenkapazität sinkt.

Dabei bin ich persönlich jeder einzelnen Pflegekraft dankbar, die ganz bewusst ihre Arbeitszeit reduziert: Sie verhindert damit ihren kompletten Ausstieg ein paar Jahre später, bleibt also der Klinik weiter erhalten, und erhält hoffentlich sowohl ihre Gesundheit als auch ihre Arbeitsqualität. So häufig habe ich in der Klinik genau die Teilzeitkräfte als die Engel in der Not erlebt, die im Gegensatz zu Vollzeitangestellten eben doch noch ein paar Reserven extra hatten, sei es für ein außerplanmäßiges Einspringen, die späte Überstunde ohne Überarbeitung am nächsten Tag oder ein Lächeln im Stress.

Individuelles Ausstiegsdilemma: Abwärtsspirale

Leider entsteht mit jeder reduzierten Stunde zunächst einmal akut ein Kreislauf an Mehrbelastung für alle Anwesenden, der alle unerwünschten Tendenzen verstärkt: freiwillige Teilzeittätigkeit, kompletter Berufsausstieg*, oder (Langzeit-) Erkrankung wie Burnout. Das dies nicht nur theoretisch ist, zeigt die Arbeitsmarktlage für Pflegekräfte und der Anstieg von behandlungsbedürftigen Angehörigen von Gesundheitsberufen in den Rehabilitationseinrichtungen.

Dazu kommt die extreme psychische Belastung, weil unter solchen Bedingungen das Risiko von Fehlern enorm steigt (ja, unser Steckenpferd im CRM-Training). Zusätzlich erwähnt Herr Prof. Karagiannidis ein paar Sätze vor dem Pflegemangel („Kapazitäten auf Intensivstationen“, ab Minute 0:22) auch das theoretisch komplett vermeidbare Fehlerpotenzial, wenn eine Verlegung von Schwerstkranken PatientInnen aufgrund überfüllter Intensivstationen in weiter entfernt gelegene Krankenhäuser nötig wird.

Arbeitsbedingungen als gesellschaftliche Aufgabe

Schwierig: Selbst wenn die Pandemie vorbei ist, steht die Lösung dieses Problems uns als Gesellschaft weiter bevor. Wenn wir langfristig Gesundheit sichern wollen, müssen wir grundsätzlich die Arbeitsbedingungen verbessern.

*Die Verweildauer im Beruf als Gesundheits- und KrankenpflegerIn beträgt relativ wenige Jahre laut einem anderen (NDR?-)Podcast diesen Jahres. Derzeit finde ich gerade die Quelle nicht mehr, aber die Techniker-Krankenkasse zitiert dies mit lediglich 13,7 Jahren. Bei einer Ausbildungszeit von bisher 3, inzwischen 2 Jahren, ist dies viel zu kurz, denn die aufwendigen Spezialisierungen wie Intensivfachpflege sind noch gar nicht mitgerechnet.

 

Weitere Beiträge über Arbeitsbedingungen im Krankenhaus

Arbeitsverdichtung und Selbstausbeutung

Film: Der marktgerechte Patient

Pandemie und die eigene Gesundheit

Risiko durch Schlafmangel

Arbeitszeiten im Krankenhaus

 

In the beginning of the Covid19-Pandemic Germany had 12 000 ventilation beds for intensive care patients – but because of pre-existing harsh working conditions topped by working overtime for more than a year now, many quit or reduced their contracts. Result: 9 000 remaining beds, down by 25% only due to lack of qualified nursing specialists.

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