Wie die Ärzte nach Uelzen kamen

Ausnahmsweise soll es bei dem Schlagwort „Ärzte“ auf dieser Seite mal nicht um Gesundheitspolitik gehen, sondern um die Band „Die Ärzte“* und wie authentischer Einsatz, emotionale Intelligenz, Risikobereitschaft und Großherzigkeit, Lebendigkeit und langer Atem Früchte tragen.

Erfolgsstory

Diese inspirierende und eigentlich völlig unmögliche Erfolgsstory enthüllte der Adventskalender meiner Kindheitsstadt Uelzen als 23. Kalendertürchen: Wie ein Veranstalter in der Provinz dazu kommt, die Großen der Musikszene Deutschlands als Gastgeber begrüßen zu dürfen.

Dass z.B. 2020 „Die Toten Hosen“ das jährliche Open Air in einer Kleinstadt bestreiten werden, die weniger Einwohner hat als seit 12 Jahren in Folge erwartete Zuhörer, ergibt sich nicht automatisch aus Sponsoren, der glücklichen Kombination von perfekter Lage zwischen Hamburg und Hannover, optimalem Gelände, fast unlimitierter Kartenzahl und entspannter Atmosphäre. Denn den Managern der Bands bzw. Plattenfirmen wäre üblicherweise die Stadt genauso unbekannt wie etlichen der Anreisenden. Wenn nicht, ja wenn nicht Ulrich Gustävel der Veranstalter wäre.

Alles begann mit einem „unlukrativen“ Anruf 1993. „Die Ärzte“ hatten sich aufgelöst, Leadsänger Farin Urlaub kämpfte mit seiner Folgeband „King Køng“ mühsam um Zuhörer, und der Manager um Möglichkeiten zur Promotion. So auch in Uelzen. Aber ein Konzert für „King Køng“ zu veranstalten war selbst für die lokale Disco, die Ulrich Gustävel damals besaß, rein rechnerisch betrachtet überhaupt nicht erfolgversprechend. Er sagte zu, der Band diese Möglichkeit zu bieten. Und kassierte eine wirtschaftliche Schlappe, denn wie erwartet kamen kaum 40 Besucher. Ein peinlicher Misserfolg für alle Seiten, und das mit Ansage. Klarer Fall.

Spannend ist das Verhalten nach dem enttäuschend besuchten Konzert. Ulrich Gustävel Veranstalter suchte Farin Urlaub in der Künstlergarderobe auf, ging in in Kontakt und in die Nachbereitung. Vor allem – so klang es beim Eröffnen des Adventskalendertürchens an – rückte er das Menschliche in der Situation in den Fokus, die Enttäuschung, sein Mitgefühl und sicher auch Bedauern als Veranstalter und Mitstreiter. Ein Scheitern aus finanzieller Sicht muss nicht zwangsläufig ein betrübliches Kapitel bleiben, wenn gemeinsame Begeisterung für Musik und hartnäckiges Möglich-Machen Zwischenmenschliches entstehen lassen. Tatsächlich führte dieses Annähern am Tiefpunkt zum Versprechen Farin Urlaubs, nach Uelzen wieder zu kehren, sollten sich „Die Ärzte“ erneut zusammenfinden.

Als es zwei Jahre später „Die Ärzte“ tatsächlich wieder tourten, rief Ulrich Gustävel also hartnäckig  den Manager an und erbat einen Konzerttermin. Der lachte ihn natürlich rundweg aus für die vermessene Idee, die Erfolgsband käme in eine unbedeutende Kleinstadt, die noch nicht mal eine angemessene Raumkapazität böte. Allerdings ließ er sich erweichen, sich wenigstens beim Leadsänger nach dessen Versprechen zu erkundigen.

Und unglaublich: „Die Ärzte“ blieben ihrem Wort treu, sagten zu und bescherten der kleinen Disco ein nie gekanntes Happening – offizielles Bewerben streng verboten. Mit der Basis der Vertrautheit von 1993, die in der Künstlergarderobe entstanden war, bot auch diesmal die enthusiastische Begleitung von Ulrich Gustävel einen wohl ungewöhnlichen Rahmen für die Band.

Von der Schilderung der After-Show-Party her ist es erstaunlich, dass die Mauern des Backstage-Bereiches am nächsten Morgen noch standen.

Letztendlich akquirierte Ulrich Gustävel Jahre später Zugang zum Albrecht-Thaer-Veranstaltungsgelände und ging erneut forsch auf „Die Ärzte“ zu: Für 2008 plane er ein Open Air, ob sie kämen. Der Ablauf der letzten drei Absätze wiederholte sich: „Uelzen? Lachhaft!“ „Bitte, fragen Sie doch wenigstens die Band.“ …und Zusage!

Selbst die Uelzener Einwohner konnten es kaum glauben, die ersten zwei Wochen kaufte kaum jemand Karten aus Angst vor einer Zeitungsente. Die Ankündigung „Ärzte Open Air in Uelzen“ könne ja kein Ernst sein. Irgendwann kapierten wir unser Glück (ja, ich war auch da 🙂 und feierten uns zu über 30 000 die Seele aus dem Leib bei bester Stimmung, viel Platz und Kaiserwetter. Nochmal zur Klarstellung der Größenordnung des Erfolges: 1. Es war eine absolute Premieren-Veranstaltung, Uelzen hatte bisher keinerlei nennenswertes Open Air Konzert** und 2. Uelzen hat gerade so 30 000 Einwohner. Seitdem sind die Besucherzahlen vergleichbar hoch, jedes Jahr ein Erfolg.

Klarer Fall: Das hätte keiner ahnen können. Inzwischen, nach 12 Jahren, lässt sich definitiv von einer Erfolgsserie der Open Airs sprechen.

Das ist Ulrich Gustävel als Event-Veranstalter wirklich nicht in den Schoß gefallen.

So eine nachhaltige Serie hätte sich auch nicht allein durch harte Arbeit erreichen lassen. Wahrscheinlich in dieser Form noch nicht einmal mit reiner Visionskraft. Wer beim Öffnen des Adventskalendertürchens dabei war, ahnt vielleicht, wie groß der Beitrag ist von Intuition, Begeisterungsfähigkeit, Glauben an das Gute im Menschen, die eigenen Authentizität und emotionaler Intelligenz.

Wirklich ein inspirierender Unternehmer, den ich ganz unverhofft beim „Weihnachtszauber“ vor dem Alten Rathaus erleben durfte.

 

Unternehmer Ulrich Gustävel mit Engeln und Projektchor vor dem Adventskalender am Alten Uelzener Rathaus am 22.12.2019; Illustrationen zur Stadtgeschichte gestaltet von Ulrike Bals und Georg Lipinsky

 

* Einen Zusammenhang am Rande gibt es doch: Leadsänger Farin Urlaub unterstützt „Ärzte ohne Grenzen“ und medizinische Entwicklungshilfeprojekte.

** Uelzen hatte vorher nicht nur keine etablierten Open Air Festivals, sondern meiner Wahrnehmung nach auch sonst keine Veranstaltungsreihe, die über geniale Kunst-Kino-Wochen (Danke, Frau Böhm!), den ausdauernden, mittlerweile verstorbenen, exzentrischen Lokalkünstler Reinhard Schamuhn oder reisende Theater-Projekte hinausging. Zeitnah, also seit 2006, gibt es immerhin mit dem Klangrausch-Treffen im Landkreis Uelzen ein sehr atmosphärisches Event zu mittelalterlicher Musik.

 

Herzliche Einladung zum Weiterlesen, besonders die Gründer-Story von Caté, ein Zitat zu Authentizität und Idealismus und überhaupt weitere Beiträge zum Leben von Visionen!

Als Coaches sind wir gerne für Sie da, egal ob für kleinere oder größere Träume, individuelle Projekte, Karrierewechsel oder StartUps!

Speziell für Gründer haben wir eine Kooperation im Harburger TuTec Haus, dem Sitz des StartUp Dock und Hamburg Innovation. Lesen Sie mehr unter: Coaching für Gründer

 

A family thing – inspiring to treat each other cordially
As tradition, our parents, my sister and me went to the cozy event of the town we grow up in, not expecting more than the usual prettily dressed window of the „Adventskalender“ of the old city hall and a Christmas carol. But today, the person who organises big annual open air festivals spoke about the coming about of his surprising success. Actually, it started off with a decision to take a band he knew would be an economic failure. But because he sought to comfort the disappointed (and formerly famous) lead singer after not more than 40 fans showing up, they got into personal contact. Out of this, a bond evolved that was stronger than business decisions. Years later, the again famous artist came back with his success band „Die Ärzte“ („The Doctors“, German Punk Rock) and actually established that little town as an incredible epicentre of open air festivals of more than 30 000 tickets sold per event – for 12 years in a row now. What a success simply due to enthusiasm and an open heart!
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