Trauer und das Arbeitsumfeld

Da versagen die Worte, niedergeschlagen stehen die Kollegen Herrn Schulz gegenüber. Eigentlich ist es ein privater Verlust, aber heute, an seinem ersten Arbeitstag nach dem Todesfall in der Familie, betrifft es jeden im Büro. Was soll man sagen, wie beistehen? Und darf so was überhaupt Thema werden im professionellen Umfeld?

Angesichts des Todes werden wir mit unserer Hilflosigkeit als Menschen konfrontiert. Auch, wenn es nur die „kleine“ Form ist, Unfähigkeit, die richtigen Worte für den Kollegen zu finden. Tatsächlich gibt es auch für die Berufswelt professionelle Hilfe, wie eine Gemeinschaft derartige Schicksalschläge gemeinsam tragen und langfristig dadurch sogar zu noch mehr Teamgeist und produktivem Miteinander finden kann. Denn wie die eigene Betroffenheit bei Todesfällen im Umfeld zeigt, hat Trauer zwei Gesichter: Die individuelle Trauer – Teil eines vorhergehenden Beitrags – und die Auswirkung auf das Umfeld, die hier als Fortsetzung folgt.

Die Trauer-Coach aus Osterholz-Scharmbeck Katharina Ziegler kümmerst sich um beide Ebenen. Ihren spannenden Karrierewechsel stellt die ehemalige Pastorin in der Episode 130 des „Female Leadership“ Podcasts von Vera Marie Strauch vor. Als Trauerbegleiterin unterstützt sie Betroffene, zusätzlich lehrt sie aber auch Unternehmen, Teams und Arbeitgeber, mit so einer besonderen Situation von Mitarbeitern umzugehen. Wo Stille, Berührungsängste und Unsicherheit zu peinlichem Abstand bis zu Isolation führen können, hilft sie, diese Form der tiefsten Krise eines Kollegen sogar als Chance zu verstehen und für alle zu nutzen. Denn ja, solchen Umbrüchen können wir nicht ausweichen. Sie gehören leider zum Leben dazu. Gleichzeitig sind sie eine Chance nicht nur für menschenzentrierte Arbeitsumgebungen, sondern auch für das Jahresergebnis: Unternehmen können gut begleitete Trauerprozesse nutzen für Kreativität, Kompetenz im „Loslassen“ und Teamentwicklung.

Ohne uns um Erlaubnis zu fragen, sprengt Trauer die Mauer zu den eigenen Gefühlen – und das kann andere befreien.

Bedauerlicherweise führt Unsicherheit im Umgang mit Trauer und der Versuch, Hilflosigkeit zu überspielen meistens automatisch zu „emotionaler Verstopfung“ mit Folgerisiken in mehreren Bereichen.

Auf der Ebene des Miteinanders wirkt es sich vielfältig auch auf Arbeitsergebnisse direkt negativ aus: Häufiger habe ich erlebt, dass jemand „muffelig“ ist und das Firmenklima kippt, bis herauskommt, dass dieser jemand Liebeskummer hat, also kein beruflicher Konflikt dahinter steckt und keine Kollegin das persönlich nehmen sollte. Hier besteht die Gefahr einer zwischenmenschlichen Blockade.

Darüber hinaus sorgt eine strenge Kontrolle von Gefühlen nicht nur für eine soziale Isolation, sondern reduziert Authentizität, Lebendigkeit und die Möglichkeit, uns gegenseitig mit unserem Anders-Sein, individuellen Eigenschaften und Talenten zu unterstützen. Manche Tätigkeiten sind dann gar nicht mehr möglich, andere bringen deutlich schlechtere Ergebnisse. Also sozusagen eine Blockade im Team, in der befruchtenden Zusammenarbeit als Gruppe.

Gerade für kreative Lösungskompetenz oder künstlerisches Arbeiten sind „gute“ Bedingungen Voraussetzung. Durch sozialen Druck und Anspruch an normatives Verhalten kann kaum „Output“ generiert werden. Denn für Gedankenblitze braucht es die innere und äußere Erlaubnis zur oben erwähnten Lebendigkeit und Authentizität, letztendlich also auch, Gefühle zu spüren. Aber: Die Trauer fragt nicht nach dieser Freigabe, sie bricht sich die Bahn.

Unterdrückte Gefühle beim Gegenüber zu sehen oder davon selbst mitbetroffen, getriggert zu werden, mitzuweinen, kann auch auf andere befreiend wirken, so hart die Zeit ist. Ein Trauerfall muss also nicht lähmen, sondern kann erstarrte Teams oder Einzelpersonen wieder in die Lebendigkeit führen – und damit zu mehr Kreativität.

Auch ganz spezielle Kompetenzen entwickeln sich durch eine gelungene Trauerbewältigung. Die dann wiederum auch einen Zuwachs an Fähigkeiten für das Unternehmen bedeuten können, in dem Trauernde gerade tätig sind. Die sogenannte „Trauerkompetenz“ sei laut Katharina Ziegler noch gar nicht entdeckt worden, auch wenn für alles andere „Talentscouts“ fleißig auf der Suche sind. Dabei begegnet uns die Aufgabe Loszulassen nicht nur bei Todesfällen, Scheidung und Corona-Angst, sondern auch bei Ende eines Projektes, Verabschiedung einer Kollegin in den Ruhestand, Outsourcing oder Abverkauf lieb gewonnener Firmensparten. Es geht nicht darum, etwas zu verdrängen und einfach zu vergessen, sondern zu respektieren und zu würdigen, und gleichzeitig nicht festzuklammern. Eine wahre Kunst.

Trauer kann eine Brücke sein und Unterschiede nivellieren.

Katharina Ziegler

Außerdem kann Trauer kann nicht nur das Leben einer Einzelnen auf den Kopf stellen, sondern auch untereinander verbinden. Auf einmal werden nicht nur im Familien und Freundeskreis, sondern auch mit Kollegen ehemals zu persönliche Themen ausgetauscht – vielleicht den schon Jahre zurückliegenden Tod des ersten Ehemannes oder die Sorge um ein Kind oder Eltern. Obwohl es jahrelang vielleicht nicht möglich war, bewirkt diese Offenheit ein neues Vertrauen und Verstehen. Damit wird nicht nur für den Trauernden „im Eilverfahren eine Tiefe erreicht, die andere so nicht haben“ (Katharina Ziegler), sondern im besten Fall für das Miteinander im Team. Keine extra bezahlte, sorgfältig geplante Teamentwicklung reicht an ein derartige Tiefe und Nachhaltigkeit des Umbruchs heran.

 

Wie gehe ich als Chef mit dem Tod um?

Für die besonders Interessierten gibt Frau Ziegler im Podcast von Vera Marie Strauch konkrete Empfehlungen ab Minute 29 – die werde ich erst in einem späteren Beitrag aufgreifen.

 

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