Schlagfertigkeit – Irren ist menschlich III
„Rechts vor links“, rief ich einer Mit-Verkehrsteilnehmerin zu, die mich böse anschaute, als wir uns mit unseren Fahrrädern nicht geschmeidig arrangierten, sondern einander ausweichen mussten. Jede von uns wähnte sich im Recht. Letztendlich war sie es auch, das muss ich zugeben. Aber das fiel mir zu spät auf. Stattdessen hatte ich -ungewöhnt schlagfertig- ihrem kritischen Blick diesen Satz entgegnet, mit voller Überzeugung. Und für Außenstehende vielleicht mich als „Siegerin“ positioniert.
Die Begegnung geht mir noch Wochen später nicht aus den Sinn aus zwei Gründen: Grund 1 führte gleich zum ersten Newsbeitrag „Irren ist menschlich I„, denn mein Fehlverhalten lud ein, mal wieder zu reflektieren, wo ich vor allem im Straßenverkehr gelassener reagieren und auch Fehler anderer einplanen sollte. Ich bin nicht perfekt und andere auch nicht, das ist genauso menschlich wie eine Tatsache. Grund 2 ist genauso spannend: Ich war ganz beeindruckt von der (befreienden) Wirkung der Schlagfertigkeit. Wenigstens in den ersten Sekunden, als ich mich noch im Recht wähnte. Erstaunlich, wie viel häufiger „man“ (also ich) das im Alltag einsetzen könnte, und wie leicht es manchmal dann doch über die Lippen kommen kann. Das bin ich von mir nicht gewohnt und es scheint ohne weiteres Training eigentlich nicht zu meinem Charakter zu gehören. Besonders eingeprägt hat sich das Ereignis aber, da ich für diese Schlagfertigkeit noch nicht einmal im Recht sein musste. Zum einen wirkte der Satz ja schließlich trotz meines Fahrfehlers. Und darüber hinaus war der Inhalt des Satzes völlig deplatziert, die Situation hatte mit „Rechts-vor-Links“ überhaupt rein gar nichts zu tun!
Ich hatte mich also gleich doppelt geirrt, war aber reaktionsstark und schlagfertig, wirkte überlegen. Die arme Dame hat vielleicht den ganzen Tag gegrübelt, wie mein Verhalten zu erklären sei, was das für Sinn machen könnte, was sie übersehen haben könnte,… Ich glaube, so Situationen produzieren gerade dominant wirkende Personen fast täglich für ihre Umgebung. So unkritisch aber forsch, dass andere durch die schiere Dynamik ausgebremst werden und ihnen nicht nur die Worte fehlen, sondern sie völlig verdattert erstarren. Oder als Führer akzeptiert werden, denn je nach Kontext kann irgendeine Bewegung oder Lösung, auch in eine unsinnige Richtung, besser als gar keine. Dieses ehrfürchtige Staunen nach unglaublicher Schlagfertigkeit eines anderen im Büro kennt wohl jeder. Und tatsächlich scheint es nicht ausschließlich angeboren zu sein, sondern wie vieles andere auch eine Frage von Einstellung und Übung.
Also kommt hiermit ein Geheimtipp für Schlagfertigkeit:
Erlauben Sie sich Fehler!
Einfach mal den fünftbesten Spruch entgegnen statt gar nichts, lieber in Bewegung bleiben als Schockstarre. Und bereit und darauf eingestellt sein, eventuelle Fehler zu korrigieren. Das gilt nicht nur für das Thema Schlagfertigkeit, sondern für fast alle weiteren Wachstumsfelder. Denn aus Fehlern lässt sich lernen, Erstarren verstärkt (erlernte) Hilflosigkeit. Und das ist viel besser als das Erfüllen eines alten Selbstbildes, das Sie weit hinter Ihren Potenzialen zurück hält, wenn Sie doch mal eine neue Seite an sich entdecken können.
Natürlich sollte selbstverständlich sein, dass Sie für einen gezielten Lernprozess Ihr Umfeld im Blick haben: Wie viel Fehlertoleranz gibt es, was sind mögliche Folgen?
Meine „Lernpartnerin“ und ich waren nicht allzu schnell unterwegs, gute Strassenverhältnisse, Platz zum Ausweichen, beide „nur“ per Fahrrad und es gab Ruhe zum Nachdenken danach. Sicher deutlich bessere Voraussetzungen als Ähnliches mit 180km/h auf der Autobahn lernen zu wollen. Für gute Voraussetzungen und das Optimieren der Lernumgebung stehen wir Ihnen natürlich gern in der professionellen Rolle (ohne Fahrrad) mit Abstand und Vogelperspektive in einem Coachingprozess zur Seite.
Ja, ich war schlagfertig. Mit totalem Nonsens. Hat trotzdem gewirkt. Und mich zum Nachdenken gebracht. Ein alltäglicher Fehler hat sowohl meine Selbstreflexion und meine Wachsamkeit als auch mein Verhaltensrepertoire erweitert und mein Selbstbild korrigiert. Irren ist Teil der menschlichen Natur – glücklicherweise.
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